Viamala hinauf

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So ein Tag Pause ist schon angenehm, meinen Füssen geht es schon wieder besser. Mein Rucksack ist wieder gepackt, Wasser aufgefüllt und wartet auf dem Zimmer auf meinen Aufbruch. Aber vorher gönne ich mir noch ein ausgiebiges Frühstück. Dann ziehe ich los, zur Burg Hohenrätien hinauf und weiter zum Eingang in die Schlucht.

Auf der Carschenna angekommen, dort wo die vielen Hinweisschilder stehen, ging es dann schon am Abgrund der tiefen Schlucht entlang. Der Weg ist gesäumt mit Himbeeren und Walderdbeeren, so konnte ich zum einen schon eine tolle Aussicht genießen und zum anderen noch etwas naschen. Ich stelle mir vor, ich wäre ein Säumer, schwere Last auf dem Rücken, und hätte auch noch ein Maultier dabei, wie dieses wohl mit dem Weg zurecht käme. Spiel, Spass, Spannung und was zum Naschen.

Irgendwann wunderte ich mich, warum ich nicht nach St. Albin komme, der Kirche kurz vor der Viamala. Auf der Karte hab ich dann gesehen, dass die gar nicht auf meinem Weg liegt, sondern etwas höher und von Carschenna aus erreichbar ist. Tcha, wenn man die Karte nicht genau liest, geht die Planung auch mal flöten. Jetzt bin ich schon zu weit, fast schon im Verlorenen Loch, da will ich auch nicht mehr umkehren. Und von der Kapelle aus sehe ich auch nur einen Weg oben über die Berge, nicht als Wanderweg markiert, der auch irgendwo wieder aufhört. Hmm. Muss ich doch nochmal auf der Carschenna übernachten, hatte ich eh mal vor…

So langsam wird das Tal eng. Jetzt wird's interessant, was GPS-Empfang und Handynetz meinen. Ich werde auf dem GPS Track sehen, wie sehr das Signal herumgehüpft ist.

Der Weg ist angenehm, ein Waldweg, mal ein bisschen hoch, mal ein bisschen runter, mal ein bisschen Aussicht. Ein bisschen Wind kühlt mich. Angenehm zu laufen.

Nach eineinhalb Stunden war ich dann am Traversiner Steg, eine interessante Hängebrücke, die fast 60 Meter weit über den Tobel und dabei 22 Meter hinunter führt. Sehr speziell, sowas hab ich auch noch nicht gesehen. Ich hab kurz Rast gemacht, um die Brücke zu bestaunen und im Brückenbuch zu schmökern. Natürlich hab ich mich auch eingetragen.

Plötzlich, kurz vor einer Kurve, kommt jemand entgegen. Nachdem ich grad bergab ging und nach meiner Auffassung Berggänger Vortritt haben, bin ich ins steile Gras zur Seite gestanden und hab Platz gemacht. „Ouh“, meinte der Erste, „da kommen noch ein paar…“. Und es kamen noch ein paar viele. Alle brav hintereinander aufgereiht, einer nach dem anderen, um die Ecke. 28 Personen insgesamt, haben sie zumindest gesagt, beim Zählen bin ich durcheinander gekommen. So ein Schwung Menschen hätte ich ja nicht erwartet. Aber entgegen kommend vorbei lassen geht ja noch, mitten hinein geraten wär eher nichts für mich. Und wie ich so stand und wartete, alle fünf Personen mal grüßte und alle drei Männer mal einen dummen Spruch beantwortete, konnte ich mich gemütlich auf meinen Wanderstab stützen. Das Schlusslicht der Gruppe hat mir dann Entwarnung gegeben und ich konnte wieder alleine des Weges ziehen. Kurz drauf kam mir noch eine Gruppe entgegen, „nur“ zehn Personen. Was bin ich froh, war ich früh genug am Traversiner Steg, ich war nur zu dritt dort. Wie das jetzt mit knapp vierzig Leuten aussehen mag, will ich gar nicht wissen 🙂

Nach einem kurzen Stück befahrbarem Forstweg, der schon interessante Einblicke in die Tiefe Schlucht des Rheins Bot, ging es bald wieder auf einem kleinen, schmalen Wanderweg den Hang hinauf. Hie und da war der Weg von einem Murenabgang verschüttet, so dass man ein paar Schritte durch wackeliges Geröll tun musste.

Es ging hier doch etwas steiler bergauf und dahinter wieder ähnlich steil bergab. Doch dann landete ich an touristischen Parkplatz der Viamala. Zwei Reisebusse voller Turnschuhtouristen standen in der Gegend rum. Das hat mich etwas desorientiert…

Eine Viertel Stunde war ich unentschlossen. Sollte ich mich jetzt wirklich unter diese Menge Touristen mischen? Der Gedanke hat mir gar nicht gefallen.

Ein Bus fuhr grad ab, es wurde gleich etwas ruhiger und ich hab mich durchgerungen, doch den touristischen Entdeckungspfad zu machen. Aber das kostet Eintritt. Ich weiß nicht… Ich lass das mal. (Aber wenn heute, unter der Woche, hier schon so viel los ist, wie sieht's dann erst am Wochenende aus?)

Doch langsam wurde mir bewusst, dass die interessantesten Stellen der Schlucht nur gegen Eintritt zu besichtigen sind. Als ich mich in dem Informationsraum abgekühlt und beruhigt hatte, konnte ich mich dann doch durchringen, das Entgeld zu entrichten und mit all den Touristen hinunter zu steigen. Wobei mich die fünf Franken gar nicht gereut haben, ich wollte nur nicht mit ein oder zwei Bussen voller oberflächlicher Spektakel-Jäger meine Zeit dort verbringen. Aber was soll's…

Ich stieg also hinter dem dreizehnten Besucher einer Rentnergruppe die Stufen hinunter und bin erstmal den Felsengang hinter gegangen. Die Hektik der kamerabewehrten Schnäppchenjäger konnte ich an mir abperlen lassen, als ich viel langsamer die Besichtigung gemacht habe. Minutenlang bin ich an den verschiedenen Stellen in der Schlucht stehen geblieben, habe die schräg geschichteten Felsen bestaunt, die an vielen Stellen durch Steinmühlen ganz glatt geschliffen waren. Und das trotz diesem feinschichtigen und bröckeligem Gestein.

Aus allen Fugen und Zwischenräumen sprießt das grüne Leben, überall, wo Wurzeln sich halten können, sprießt Grün aus dem Felsen, weht im Wind, der ganz leise durch die Schlucht zieht. Gräser, Bärenklau, kleine Bäume, Mimosen, Moose, Flechten, alles mögliche versucht immer wieder, auf diesen Felsen Fuß zu fassen. Sobald ein Felsen etwas waagerechter liegt, nimmt das Gras darauf schon fast Überhand und es fangen an, größere Bäume darauf zu wachsen.

Nur zu groß werden sie nicht, dann stürzen sie ab und werden vom nächsten Hochwasser mitgerissen, fortgespült, entrindet, entastet und verkeilen sich als nackte Baumstämme in den Wänden der Schlucht. Nicht nur einen solchen Stamm hab ich so über dem Fluss hängen sehen und mir vorgestellt, wie es denn wäre, dort eine Schaukel zu befestigen. Und dann dort zu sitzen, rechts und links getragen von überhängenden Felswänden, so hoch, dass man kaum den Himmel sehen kann, schaukelnd über dem frischen grünen Wasser des Hinterrheins.

Wobei das Wasser ein paar Strudel bildet, ein paar mal etwas schäumt, aber insgesamt doch zu wenig ist, um wirklich spektakulär zu sein. Die Ergebnisse jahrtausenden Hindurchrauschens sind eindrücklicher als das Restwasser, welches heute noch durch die Schlucht geleitet wird. Der eigentliche Anteil des Rheins wird zu Stromerzeugungszwecken durch Druckrohre im Berg nebendurch geführt. Besonders eindrücklich ist dieser Unterschied an der Hochwassermarke von 1951 zu sehen. Man kommt selbst an der tiefsten Stelle längst nicht an den heutigen Wasserspiegel, und zu dieser Hochwassermarke muss man bestimmt 50 Meter hinaufklettern. Naja, klettern ist etwas übertrieben, es sind überall Treppenstufen und Geländer, damit sich auch leicht beschuhte Touristen hier sicher hindurch bewegen können.

Und an allen Ecken und Enden tröpfelt, pritschelt und fließt das Wasser aus den Felsen, viele kleine Rinnsale, die heruntertropfen und fallen, an Felsnasen wieder aufschlagen, dort zerstäubt werden, weiter fallen, sich wieder sammeln, wieder rinnen, tröpfeln, fallen, fließen, wieder gefangen werden von Moosen, Graspolstern und Felsspalten, sich dort sammeln können und überlaufen, um noch weiter nach unten zu fallen. Fast wie ein Murmelspiel, man gibt oben ein Rinnsal hinein und kann wunderschön den abwechslungsreichen Weg des Wassers verfolgen, bis es schließlich, ganz unten in der tiefen Schlucht, in den Rhein fällt. Aber auf dem Weg hinunter hat es bestimmt fünfzig Moos- und Grasflecken bewässert und befeuchtet.

Und so konnte ich doch noch meine Ruhe finden, als die Schübe von zwei Reisebussen an mir vorüber waren und nur noch ab und zu Individualtouristen vorbeikamen. Ich fand die Ruhe, die ich wollte, um diesem nicht ganz wilden Fluss in der mächtigen Tiefe seiner Schlucht zuzusehen, mir alle riesigen heruntergefallenen Felsen anzuschauen, die Strudeltöpfe zu bestaunen und einfach hier zu sein. Als ich auf einer Bank Picknick gemacht hab, kam sogar eine Zeit lang niemand vorbei. Es war doch richtig ruhig hier.

Danach hab ich noch Wasser getankt und bin weiter gezogen. Mit GPS sieht's hier nicht so gut aus als mit Handy-Netz… Blog aktualisieren ist kein Problem, aber mein Runkeeper zeichnet einen ziemlich verknoteten Track auf. Kaum bin ich vom Touristenpunkt wieder gestartet, werde ich angesprochen und nach dem Weg zum Traversiner Steg gefragt. Ich musste der Dame erstmal die Karte richtig drehen, ihr Norden und Süden vertauschen und versuchte ihr dann mit meiner Topographie- und Wanderkarte zu helfen. Ich bin Guter Dinge, dass sie es finden wird.

Der Weg führt jetzt auf alten Säumerwegen weiter, die engste Stelle der Schlucht ist allerdings schon vorüber. Jetzt weitet sich das Tal mehr und mehr und es ist auch wieder Platz, dass der Wanderweg nicht über die Strasse geführt werden muss.

Dieser windet sich hinter der Schlucht den Hang hinauf Richtung Reischen. Das bringt mich ganz schön ins Schwitzen, ich bin recht k.o. Bei der Feuerstelle (von Schweizer Familie) mache ich erstmal Rast. Ich hab auch gesehen, dass vom Domleschg her graue Wolken kommen, ich werde auch das Wetter etwas beobachten. Aber erstmal freue ich mich, die Wanderschuhe auszuziehen. Der Einheimische hier wollte zwar grad Rasen mähen, hat mich auch extra gefragt, ob mich das stört. Ich hab ihn gewähren lassen, er wird sicherlich heute damit fertig werden wollen. Ich war nur froh, konnte ich auf der Bank sitzen und die Füße lüften, kühlen und etwas schonen.

Dabei hab ich auf der Karte meinen Weg durch die Viamala angeschaut, was ich verpasst habe und warum ich etwas enttäuscht bin. Ich hab mir vorgestellt, dass die alten Wege der Römer und die Kutschenwege noch als Wanderwege verfügbar wären. Und dass man (unabhängig davon) die „moderne Strasse“ gebaut hat. War aber nicht so. Die alten Römerwege sind kaum noch vorhanden, auf alle Fälle nicht mehr so, dass man sie als Wanderwege nutzen könnte. Und die Kutschenwege wurden nach und nach in diese enge, kurvige und als Fußgänger unübersichtliche Strasse umgewandelt. Ich kann von Glück reden, dass der zweite Teil des Wegs wieder neu hergerichtet wurde, an der Stelle der alten hölzernen Brücke der Römer wurde eine neue errichtet, die ich auch genutzt habe. Und wenn ich im Bundesinventar der historischen Verkehrswege nachschaue und das mit meinem heutigen Weg vergleiche, dann sind es tatsächlich nur ein paar wenige Stückchen, wo der historische Verlauf noch Substanz hat. Und diese bin ich auch gegangen, ohne dass mir dieser Umstand großartig aufgefallen wäre. Wenn ich mehr historische Substanz möchte, muss ich auf der anderen Seite die Strasse laufen. Auch nicht so das Wahre…

Trotzdem gibt es einen zweiten Weg durch die Schlucht. Im mittleren, engsten Teil ist es zwar der selbe, weil einfach kein anderer Platz ist, aber davor und dahinter gibt's auch einen links-rheinischen Weg, der unten in Thusis rauskommt. Diesen wollte ich eigentlich am Samstag mit meinen Freunden gehen, aber es zeichnet sich wohl ab, dass ihnen diese Gegend hier zu weit von Bern weg ist.

Als meine Füße etwas ausgeruht waren und ich so ungefähr einen Plan hatte, was ich als nächstes wandern möchte, bin ich wieder aufgebrochen. Es sind mir zu viele Fliegen, Bremsen und Steckmücken hier. Das Wetter hat zugezogen, es grummelt ab und zu, es wird wohl Regen geben. Also mach ich mich auf den Weg zum Brunnen am Ortseingang von Reischen und dann links hoch zur Ruine La Tur. Vielleicht kann ich mir dort einen Übernachtungsplatz basteln.

Die Ruine war nix. Also doch, eigentlich schön gesichert, zwar eine Ruine, aber keine gefährliche, die bald einstürzen wird. Aber ich hab keinerlei Löcher, Haken oder Vorsprünge gefunden, um mein Dach dran zu befestigen. Sie hätte sogar eine schicke große Feuerstelle in der Mitte gehabt, eine Bank innen drumherum, aber eben keine Möglichkeit für mein Dach. Und es fängt schon langsam zu regnen an. Hmm.

Einmal drumrumgelaufen, wow, sogar eine Erklärungstafel war dort, und sogar ein Brunnen. Da hätte ich mein Trinkwasser gar nicht so mühsam den Berg hinaufschleppen müssen… Ich wollte fast nicht glauben, dass ich mein Dach nicht festmachen kann, aber mit dem zweiten Regentropfen hab ich's dann eingesehen und bin wieder von dannen gezogen.

Etwas weiter steht ein Heuschober, oben Heuboden und unten Kuhstall. Den hab ich mir jetzt ausgesucht. Es ist sogar etwas Heu und Stroh da, da kann ich sogar weich liegen. Hier richte ich es mir häuslich ein. Kochen werd ich wohl draußen, aber unter dem großen Baum, der davor steht, wird das schon passen. Bleibt nur zu hoffen, dass keiner vorbeikommt. Und mit dem Wind muss ich noch schauen, ob ich nicht eine Seite mit meinem Dach verschließe, aber aktuell ist es windstill und es regnet auch nicht mehr.

Ich hab noch meine Bilder gesichtet, bearbeitet und hochgeladen, Internet hab ich ja. Dabei ist niemand vorbeigekommen, ich bin inzwischen auch etwas beruhigt, dass jetzt, um halb sieben auch keiner mehr kommt. Es sind auch keine Kühe auf der Weide, die in den Stall müssten. Aber der Wind ist ab und zu böig, zieht hier zwischen den Ritzen durch, und es grummelt und donnert immer wieder um mich herum. Ich gehe davon aus, dass noch ein Gewitter kommen wird und bin froh, ein festes Dach über dem Kopf zu haben.

Huch… Plötzlich bekomme ich auch noch einen Unwetter-Alarm: „Stufe 2“ (von 3) „Gewitter mit Hagelgefahr und Sturmböen, Wildbächen fernbleiben“. Ok… Da hab ich ja eine gute Wahl meines Unterschlupfes getroffen. Den nächsten Wildbach kann ich zwar rauschen hören, aber das ist tief unten im Tobel, der sollte mich nicht erreichen. Die Abendsonne hat sich noch kurz blicken lassen, dann fing der Regen auch schon an. Durch die Ritzen des Heustadels kann ich ihn sehen, wie er schräg daherkommt. Aber es blieb bei Regen, der auch bald wieder aufhörte.

Eine Stunde später aber, ich war schon eingeschlafen, wurde ich durch laute Schläge aufs Dach wieder geweckt. Der angekündigte Hagel ist doch noch gekommen. Daumennagelgrosse Körner fielen vom Himmel herab, ich war echt froh um mein festes Dach. Das grosse Dach der Scheune hat bei dem Hagel allerdings auch einiges an Lärm gemacht. Ich hörte Glocken bimmeln, ich würd sagen, Schafe, aber ich hab sie nicht gesehen. Der Hagel war auch schnell wieder vorbei, noch bevor irgend ein Tier an „meinem“ Stall Zuflucht gesucht hätte.

Geschlafen hab ich dann recht unruhig. Mein Schlafsack war zu warm, ich hab mich wieder aufgedeckt. Bald war mir wieder zu kalt, ich hab mich wieder zugedeckt. Dann hab ich wieder das Schwitzen angefangen, aufgedeckt. Verschwitzt war's bald auch wieder zu kühl. In der zweiten Nachthälfte ging's besser, da war es kalt genug, die ganze Zeit im Schlafsack drin zu bleiben. Dafür hab ich recht intensiv geträumt. Ich gehe auf der Strasse entlang und sehe, wie die Person, die mir entgegen kommt, von Minute zu Minute jünger wird. Dabei kommen Krähen angeflogen und picken in meinem Gesicht herum. Von meinem Schrei bin ich dann aufgewacht. Es ist stockdunkle Nacht, bewölkt, ich hab nichts sehen können in dem Heuschober. Das Picken der Krähen kommt von den Felszeichnungen in Carschenna. Dort war auf einer Infotafel zu lesen, dass diese Zeichnungen mit Metallwerkzeugen in den Stein „gepickt“ wurden.

 

One response to this post.

  1. Posted by Matze on 19. Juli 2012 at 07:11

    Zimmer???? Die arme Hängematte vereinsamt!

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